Anreise

Von Frankfurt geht es im Direktflug für uns nach China. Fast neun Millionen Menschen leben in der Olympiastadt Qingdao. Dort werden wir von unserer langjährigen Produktionspartnerin und Freundin Aichin in Empfang genommen.

Das, was wir von der Stadt an diesem Tag Ende Oktober sehen, ist sehr aufgeräumt und touristisch: Viele Menschen mit Kindern, Lebhaftigkeit und wirtschaftlicher Aufschwung sind in dieser Stadt spürbar. Am Hafen liegen riesige Boote – Statussymbole derjenigen, die Teil des Aufschwungs sind.

Wir genießen unsere Ankunft und Aichin führt uns an Plätze an denen das chinesische Flair in der Großstadt mit seiner traditionellen Altstadt erlebbar wird. Sie zeigt uns, wie die Menschen in dem Wust von Hochhäusern ihre Kultur pflegen. Es wird Tai Chi auf Plätzen praktiziert, die Gerüche und das Essen lassen uns nach dem Flug schnell ankommen.

Unser Betrieb mit Vorbildcharakter

Am ersten Arbeitstag besuchen wir Aichins kleine GOTS-zertifizierte Produktionsfirma, mit der wir bereits seit 2008 zusammenarbeiten. Ihr Betrieb ist mittlerweile bereits zum fünften Mal in ein neues Fabrikgebäude umgezogen. Das liegt zum einen daran, dass Aichin Fabrikräume mietet, denn sie möchte flexibel und agil bleiben. Zum anderen ist sie aber auch der Willkür des chinesischen Staats ausgesetzt – wenn dieser beschließt, die gesamte Industrie beispielsweise für die Olympischen Spiele zu verlegen, muss auch Aichins Fabrik weichen.

Der neue Standort ist schön – die rund 40 Mitarbeiter strahlen, es spielt Musik, es ist hell und freundlich. Viele Gesichter kenne ich hier von früheren Besuchen. Als echte Pionierin in vielerlei Hinsicht hat Aichin anthroposophisches Gedankengut in ihre chinesische Produktion integriert. Sie begleitet uns auf unserer gesamten Reise.

Unsere Tage sind randvoll mit Besuchen

Von Aichins kleiner Produktion geht es für uns zu Mr. Ding, den wir ebenfalls schon lange kennen. Er hat sich – ähnlich wie Claudia Lanius vor über 20 Jahren – der Hanffaser verschrieben. Seine GOTS-zertifizierte Fabrik ist beeindruckend und er plant die Erbauung eines Hanf-Museums neben der Produktionsstätte. Nach dem Besuch der Fabrik ist klar, dass wir die Geschäftsbeziehungen ausbauen werden und der taffe chinesische Geschäftsmann für uns der Partner in Sachen Hanf schlechthin ist.

Weiter geht es zu einem unangekündigten Besuch in einer kleinen Strick-Fabrik. Hier wird schnell klar, dass wir diese Produktionsstätte nicht als Partner wählen: In den Räumlichkeiten ist keine Absauganlage vorzufinden und deshalb liegt viel Staub in der Luft. Einmal mehr wird wieder deutlich, wie wichtig persönliche Besuche und der direkte Kontakt mit den Menschen vor Ort ist, damit man sich selbst ein Bild von den Stätten machen kann. Das genaue Gegenteil dieses Betriebs erleben wir am Nachmittag.

Wir kommen in einem Fabrik-Village an, in dem insgesamt 22.000 Menschen beschäftigt sind. Eine unglaubliche Dimension. Die staatliche Fabrik stellt Jersey-Gestricke für bekannte Fast-Fashion-Konzerne her. Modernste Vakuum-Entlüftungsanlagen sorgen für staubfreie Hallen und wir erfahren, dass täglich gigantische Mengen – circa 100 Tonnen – an Jersey produziert werden. Mit unseren Stückzahlen und unseren Ansprüchen an die Wertschöpfung der Materialien, kommen wir hier natürlich nicht ins Geschäft.

Strenge, staatlich gestellte Anforderungen

Für uns geht es weiter nach Hangzhou, einer Stadt weiter südlich in China - Dreh- und Angelpunkt in Sachen Seide. Wir besuchen unseren Agenten vor Ort und den Nassbetrieb, in dem unsere Seidenstoffe gefärbt und bedruckt werden.

China stellt sehr hohe Anforderungen an Betriebe im Umgang mit Abwasser. Wir sind beeindruckt, da alles digital erfasst, gemessen und übertragen wird: Jeder Nassbetrieb muss an die staatliche Kontrollstelle angeschlossen sein. Relevante Werte, wie zum Beispiel der ph-Wert des Abwassers, werden hier nicht wöchentlich oder täglich erfasst, sondern permanent. Übersteigt ein Betrieb die vorgeschriebenen Richtwerte, wird er geschlossen. Es ist deutlich zu spüren, wie sehr das Land darin bestrebt ist, sein negatives Image als Produktionsland aufzubessern.

Auf dem Weg nach Zhenjang mit dem High-Speed Train

So aufregend die Reise ist, so kräftezehrend sind diese Tage auch. Wir sind viel unterwegs, legen weite Strecken mit verschiedenen Verkehrsmitteln zurück, wissen teilweise nicht, wo und wann wir etwas essen können und überall gibt es Gesichts- und Fingerkontrollen.

Die Reise im High-Speed Train Richtung Zhenjang ist aber dennoch sehr aufregend. Der Bahnhof gleicht eher einem Flughafen, es ist alles sehr organisiert: Passagiere gelangen erst eine Viertelstunde vor Abfahrt auf das jeweilige Gleis. Es gibt kein Gedränge, die Menschen warten geduldig in Schlangen. Die Waggons sind sehr groß und der Zug ist so schnell, so ruhig und so schwebend, dass wir gar nicht das Gefühl haben in einem Zug zu sein. Wir fahren an dutzenden glitzernden, hohen Häusern, vielen Industriegebäuden und unheimlich vielen Menschen vorbei. Eine riesige Stadt reiht sich an die nächste.

Buddhistische Ruhe und italienisches Know-How

In Zhejiang angekommen besuchen wir am nächsten Tag auch schon den nächsten Produktionspartner. Die große Strick-Fabrik liegt etwas abseits der Megastädte und auf der Fahrt sehen wir kleinere Orte und Tempel.

Ein schöner Baumgarten mit Wasserspielen heißt uns im Vorhof der Fabrik willkommen. Was uns dann im Inneren erwartet, ist wirklich besonders: Bepflanzte Wände, minimalistische Wohlfühl-Atmosphäre, große Wasserbecken und ein wunderschöner Besprechungsraum.

Wir treffen auf Herrn Massimo, den wir auf der Stoffmesse in München bereits kennenlernten. Er begrüßt uns herzlich und erklärt, dass „Massimo“ die italienische Variante seines komplizierten chinesischen Namens sei. Zehn Jahre arbeitete er mit einem Italiener zusammen, der ihm viel Know-How vermittelt hat. Herr Massimo ist einer dieser Menschen, die mich mit ihrer Ruhe und ihrem Karma einfach beeindrucken.

Wir merken augenblicklich, wie wichtig dieser persönliche Kontakt ist. Keine Website, keine Mail, keine Video-Konferenz kann diese Form von Treffen ersetzen. Luca und Justin, unsere Sales und Sales Overseas Manager – und Bella, unsere wunderbare Ansprechpartnerin vor Ort, tragen maßgeblich dazu bei, dass wir uns einfach wohlfühlen.

Wir sind der erste deutsche Betrieb, der eine Zusammenarbeit mit Herrn Massimo und seiner Firma eingegangen ist.Stolz sind wir auch darauf, dass wir es geschafft haben unseren Bouclémantel mit dieser Produktionsstätte umzustellen – auf eine GOTS-zertifizierte Ware aus kontrolliert biologischer Tierhaltung. Daran sind wir und unsere Produzenten bisher immer gescheitert und meine anfängliche Skepsis ist nach diesem Besuch der Gewissheit gewichen, dass hier Menschen arbeiten, die ihre Arbeit lieben und das Material Wolle sehr wertschätzend behandeln.

In den Produktionshallen sehen wir beeindruckende Maschinen und clevere Lösungen im Bereich der Material-Aufrüstung – die Wolle wir hier zum Beispiel mit echten Disteln aufgeraut. Das bringt uns zurück zu dem Ursprung von LANIUS – zu der Vision von einem guten Gefühl auf der Haut und einem guten Gewissen.

Und noch etwas beeindruckt uns nachhaltig: In jeder Produktionshalle herrscht eine angenehme Ruhe. Diese Ruhe, die Herr Massimo, der ursprünglich aus Tibet stammt und Buddhist ist, in diese ganze Produktion bringt, ist einfach wohltuend. Die Wege zwischen den einzelnen Maschinen sind doppelt so breit, wie in anderen Produktionsstättne. Dieser Platz gibt den Menschen, die sich dort bewegen und arbeiten, die Möglichkeit, die Ware gefühlvoll zu bewegen - all das freut uns wahnsinnig.

Es ist wieder einmal ein völlig konträres Bild zu dem vorurteilsbehaftetem China und hat gezeigt, dass es sich lohnt auf die Suche zu gehen.