Anreise

Vom trüben kalten Köln fliegen wir über Frankfurt in die tropische Großstadt Mumbai. Draußen angekommen erwarten uns um 2:00 Uhr nachts Ortszeit noch 30°C. Auf den Straßen Mumbais herrscht reger Verkehr, den unser Fahrer gelassen kommentiert: „Mumbai never sleeps.“

Mumbai ist die wichtigste Hafenstadt des Subkontinents und zählt ca. 20 Millionen Einwohner:innen. Diese unglaubliche Bevölkerungsdichte ist überall auf den Straßen zu spüren. Hinzu kommen die extremen Gerüche, die so verschieden sind, wie die Vielfalt der indischen Gewürze.

Bei unserer nächtlichen Fahrt vom Flughafen fallen uns die vielen Tuk Tuks auf – Rikscha-Taxis auf drei Rädern, die kilometerlang hintereinander am Straßenrand parken und in fast jedem Tuk Tuk übernachtet der Fahrer. Kopf und Füße gucken oft aus dem Wagen. Wir passieren den Slum, in dem der erfolgreiche Film „Slumdog Millionär“ gedreht wurde. Die extreme Armut vieler Inder:innen zeigt sich hier sehr deutlich. Bis heute ist es in Indien nicht üblich, die Kaste, in die man hineingeboren wird, zu verlassen. Das heißt Bildung, bestimmte Berufswege, oder eine Heirat in eine höhere Kaste bleiben verschlossen. Der Weg vom „Slumdog“ zum Millionär bleibt hier oft ein Traum. 

Sightseeing in Mumbai

Das Hotel ist sehr sauber und großzügig angelegt. Am Pool gewöhnen wir uns an Hitze, Zeitumstellung und verarbeiten die ersten Eindrücke der letzten Nacht. Lange halten wir es aber so untätig nicht aus und machen uns auf zu einem kleinen Sightseeing-Trip. Zur nächstgelegenen Sehenswürdigkeit, der kolonialen Kirche Mount Mary, sind wir 30 Minuten mit dem Tuk Tuk unterwegs. Kühe, die von den Hinduisten als heilige Tiere verehrt werden, laufen gemütlich neben uns her und sind im lauten Straßenverkehr kein seltener Anblick.

An der Mount Mary Kirche angekommen, sind wir begeistert von der warmen Abendsonne. Prompt werden wir angesprochen und um ein Selfie gebeten – und es bleibt nicht bei diesem einen Mal: Nach einem Blick in die katholische Kirche, spazieren wir den Hügel hinunter zu Taj Lands End: Eine surreale Mondlandschaft, die als Treff- und Aussichtspunkt für hunderte Inder:innen dient, die dort den abendlichen Sonnenuntergang zu beobachten. Kaum haben wir uns dazu gesetzt, wird uns auf die Schulter getippt und wir werden wieder um ein Selfie gebeten. Wir machen eine Weile Fotos mit wildfremden Menschen und gehen dann weiter die Promenade entlang. Gefühlt begegnet uns kein:e einzige:r Tourist:in.

Extrem arm trifft auf extrem reich

An unserem zweiten Tag in Mumbai zieht es uns in die Altstadt, um das Gandhi Museum zu besichtigen und weitere historische Gebäude aus der Kolonialzeit, die von 1858–1947 andauerte.

Schnell kommen wir mit unserem Taxifahrer ins Gespräch - über sein Leben, seinen Job den er seit 1961 ausübt, und die Stadt. Fast am Ziel angekommen, fahren wir an einem großen gläsernen Gebäude vorbei, welches sich von den anderen Gebäuden der Stadt deutlich abhebt. Unser Fahrer weiß Bescheid und erzählt uns, dass dort die Familie Ambani lebt.

Nach einer kurzen Recherche finden wir heraus, dass Mukesh D. Ambani Vorstandsvorsitzender des Konglomerats Reliance Industries ist. Mit einem Vermögen von 40,1 Milliarden Dollar steht Ambani aktuell auf Platz 19 der „World's Billionaires-List“ des Forbes Magazins.

Ende 2010 bezog Ambani sein Privathaus im Zentrum Mumbais, an dem wir gerade vorbeigefahren sind. Das Haus ist 173 Meter hoch und bietet auf 27 Etagen 37.000 m2 Platz. Nach Angaben eines Sprechers Ambanis liegen die Baukosten bei 50 bis 70 Millionen Dollar.

Für uns ist dieses strahlende, futuristische Gebäude – umgeben von der lauten dreckigen Großstadt – die Versinn­bildlichung der sozialen Ungleichheit in Indien.

Mahatma Gandhi gilt als herausragender Vertreter im Freiheitskampf gegen Unterdrückung und diese soziale Ungerechtigkeit. So war es uns ein großes Anliegen, das Gandhi-Museum zu besuchen und einen persönlichen Einblick in sein Leben zu erhalten.

Das heutige Gandhi-Museum, das wir nun besuchen, war von 1917 bis 1934 Gandhis Hauptquartier. Somit steht auch dieses Gebäude für den einzigartigen indischen Freiheitskampf. Sollte es Sie einmal hierhin verschlagen, werden Sie hier Briefe lesen können, die Gandhi an Adolf Hitler, Roosevelt und Tolstoi geschrieben hat.

Das Wohn- und Arbeitszimmer Gandhis befindet sich im zweiten Obergeschoss. Die Einrichtungsgegenstände von damals sind noch im Original erhalten. An dieser Stelle bekam Gandhi den ersten Unterricht im Spinnen

Das Spinnen wurde für ihn – und ganz Indien – zu einem Symbol der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit.

Durch das Spinnen fanden die Armen in Indien eine Arbeit und konnten eigene Kleidung herstellen. Das Spinnen wurde zudem zur Grundlage, um britische Kleidung während der Kolonialherrschaft boykottieren zu können. Als Zeichen der Souveränität schmückt noch heute ein Spinnrad die indische Nationalflagge.

Nach unserem Besuch im Museum laufen wir weiter durch die großen Straßen von Mumbai. Links von uns liegt ein Cricketplatz – natürlich nur für Clubmitglieder, rechts von uns die Deutsche Bank, und um uns herum hunderte Menschen auf dem Weg zum Hauptbahnhof – der Victoria Terminus. Da der historische Bahnhof auch auf unserer Sightseeing-Liste steht, ergeben wir uns dem Sog und lassen uns treiben. Wir werden belohnt, denn als wir ankommen wird der Hauptbahnhof mit vielen bunten Lichtern angestrahlt. Wir wagen auch einen Blick hinein und sind begeistert von den vielen Menschen und der Architektur, nur wieder heraus zu kommen ist gar nicht so einfach.

Besuch einer Färberei

Am Dienstag besuchen wir eine natürliche Färberei. Den Kontakt hat Claudia Lanius bereits bei ihrem letzten Besuch in Indien geknüpft. Die Produktion ist wie eine kleine kreative Oase inmitten einer tobenden Großstadt. Seiden- und Baumwollstoffe werden hier von Hand mit Blumen aus den Tempeln und anderen natürlichen Rohstoffen gefärbt. Mit verschiedensten Techniken wird der Stoff gefärbt, gesteamed, getrocknet, gewaschen und wieder getrocknet, gebügelt und verpackt. Alles per Hand!

Die Produktion beeindruckt: Sie ist nicht zertifiziert, und sie entspricht sicher nicht dem deutschen Standard, dafür ist sie bunt, kreativ und lebensfroh. Die Inhaberin steht für ihre Mitarbeiter:innen ein und sieht sich als Unternehmerin in der Pflicht, gerechte Löhne zu zahlen.

Für kleine Produktionen wie diese ist es schwierig, sich oder ihre Produkte zertifizieren zu lassen, gerade wenn der Farbstoff - aufgesammelte Blüten aus Tempeln - nicht nachweisbar aus kontrolliert biologischem Anbau stammen, sondern „lediglich“ wiederverwendet werden. Wir sind trotzdem begeistert von dem nachhaltigen Geist, der hier herrscht.

Unterwegs zum Open House Day der bioRe® Stiftung

Für uns geht es weiter in die Provinz Madhya Pradesh nach Indore. Dort findet der alljährliche Open House Day der bioRe® Stiftung statt. Zusammen mit den anderen Teilnehmer:innen (überwiegend Abnehmer:innen der bioRe®-Bio-Baumwolle und Mitarbeitende der Remei AG) fahren wir gemeinsam ins Camp der Stiftung.

bioRe® wurde 1997 als eigenständige gemeinnützige Stiftung gegründet und wird von einem unabhängigen Stiftungsrat geführt. Ziel von bioRe® ist es, Bauernfamilien im biologischen Anbau von Baumwolle in Tansania und Indien zu unterstützen, damit sie ihre Lebensgrundlage nachhaltig verbessern können. Die Stiftung schafft Raum für Entwicklung, unterstützt die Produktivität und biologische Vielfalt der Landwirtschaft und kümmert sich um die grundlegenden Bedürfnisse der Bauernfamilien.

Die in der Schweiz ansässige Remei AG koordiniert die Produktion nachhaltiger Textilien aus bioRe®-Baumwolle und begleitet den Produktionsprozess von der Maßtabelle bis zur Auslieferung.

Von Forschungsprojekten und Baumwollanbau

Wir besichtigen das bioRe®-Training Center, in dem die Bauern hinsichtlich des Anbaus von Bio-Baumwolle geschult werden und stetig an der Verbesserung der Anbautechniken gearbeitet wird.

Hierzu gehören Forschungsprojekte, wie das Saatgutprojekt: Ziel hierbei ist es, den Bauern qualitativ hochwertiges, biologisches und gentechnisch unverändertes Saatgut bereitstellen zu können. In einem Langzeit-Systemvergleich hat die bioRe® Stiftung herausgefunden, dass Bio-Baumwolle gegenüber dem Gentech-Anbau konkurrenzfähig ist. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wurden biologische und konventionelle Landwirtschaft (mit gentechnisch verändertem Saatgut) miteinander verglichen. Dabei hat sich herausgestellt, dass gentechnisch veränderte Baumwolle zwar ertragreicher ist, jedoch mit höheren Produktionskosten einhergeht.

In Feldversuchen testete das Forschungsteam mit den Bauern zudem verschiedene ökologische Methoden, wie etwa die biologische Schädlingsbekämpfung. Die systematische Einbindung der Bauern in die Feldversuche ermöglicht eine praktische Wissensvermittlung.

Uns werden die Ergebnisse der Studie und die Werte sowie Herausforderungen der Stiftung bei einem Rundgang durch das Training Center stolz präsentiert. Wir werden durch die Demo-Felder geführt, und besichtigen die eigene Weberei, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Frauen der Bio-Baumwollbauern gegründet wurde. Dann werden uns die unterschiedlichsten Arten zur Herstellung von Kompost nähergebracht.

Weiter geht es mit Bussen vom Demo-Feld zu einem der „echten“ Felder im Dorf Kawada.

Hier erwartet uns schon das ganze Dorf im feinsten Zwirn! Jeder Bauer sowie sein Ertrag, wird von der Stiftung erfasst und getrackt, welches auch für Sie, als Kunde/Kundin, die Rückverfolgbarkeit der Baumwolle in jedem bioRe® T-Shirt bis zum Bauern möglich macht. Unter www.remai.ch können Sie den „Traceability Code“ eingeben, welchen Sie auf Ihrem Einnähetikett finden. Online können Sie dann den Weg Ihres Kleidungsstücks vom Anbau der Bio-Baumwolle über sämtliche Produktionsstufen bis zum fertigen Produkt zurückverfolgen.

Nach einer Mittagspause auf dem Feld, fahren wir ins nächste Dorf Kakadkhodri.

Es ist ein kleines buntes Dorf, durch das eine angenehme Brise weht. Stühle und ein Sonnenschutz stehen für uns bereit. Eine Gruppe Frauen erklärt uns ihre Aufgaben im Anbau von Bio-Baumwolle, welche hauptsächlich in den verschiedenen Arten der Schädlingsbekämpfung liegen.

Um die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhalten, und den Schädlingsbefall im Vergleich zu Monokulturen zu minimieren, schließt der Biolandbau eine kontinuierliche Fruchtfolge ein. Das bedeutet, dass die Bauern nach der Baumwollernte andere Pflanzen (z.B. Soja) anbauen. So bleibt der Boden gesund und den Bauernfamilien eröffnet sich ein Nebenerwerb. Verabschiedet werden wir mit zwei traditionellen Liedern.

Wieder im Camp angekommen sehen wir uns noch einmal allein in Ruhe um, kaufen einen Schal in der Weberei und ruhen uns im Zelt etwas aus. Zum Abschluss des Tages wird uns ein traditionelles vegetarisches Abendessen auf der Wiese bereitet.

Zu Besuch in zwei Schulen

Am zweiten Tag fahren wir alleine los in das Dorf Talapura, in der die Schule steht, die LANIUS durch den Verkauf von Charityshirts finanziert.

Claudia Lanius hat die Schule schon einmal besucht. Zu diesem Zeitpunkt bestanden die Wände des Gebäudes noch aus Lehm. Jetzt – drei Jahre später – dürfen wir das neue Gebäude aus Stein bestaunen. Es ist größer und hat zwei Klassenräume. Die Lehrerin ist immer noch die gleiche und hat eine weitere Lehrerin als Unterstützung für den zweiten Klassenraum dazu bekommen.

Wir sind begeistert, diese Entwicklung live sehen zu dürfen! Das ganze Dorf begrüßt uns, wir nehmen am Unterricht teil und können den Besitzer des Grund- und Bodens, auf dem die Schule umsonst errichtet werden durfte, kennenlernen.

Für die kleinen Kinder aus den umliegenden Dörfern ist diese Schule die einzige Möglichkeit für Bildung – und bietet somit eine Alternative zur Feldarbeit und dem Landleben. Seit 2006 unterstützt die bioRe®-Stiftung Kinder in ländlichen Gegenden Indiens, die sonst keinen Zugang zu Bildung erhalten würden.

Auf dem Weg zur nächsten Schule, der bioRe®-Public School, begegnen wir einer Gruppe von Frauen, die mit ihren Kamelen, Kindern und Ziegen bereits hunderte Kilometer zurückgelegt hat – auf dem Weg zu neuen Weideflächen für die Tiere.

Die bioRe®-Public School im Dorf Ojhara-Gopalpura wird von dem Unternehmen Coop aus der Schweiz finanziert. Die Schule unterrichtet nicht nur Kinder von der ersten Klasse bis zur Oberstufe, sondern bildet auch Auto- und Elektrotechniker aus und bietet Näh- und Computer-Unterricht.

Ein Krankenhaus auf Rädern

Die nächste Station ist die bioRe® Mobile Health Unit, ein Krankenhaus auf Rädern, welches gerade auf einem Dorfplatz Halt gemacht hat. Jede:r darf kurz mal reinschauen. Viel Platz ist in dem Bus nicht. Wir sehen, wie ein Arzt einem Mann mit seinem Sohn das Röntgenbild vom Arm des Kindes zeigt und deutlich macht, dass der Arm gebrochen ist.

Seit 2006 bietet der Gesundheitsbus im ländlichen Indien der Gemeinschaft eine medizinische Grundversorgung. Lokale Ärzt:innen begleiten den Bus in die Dörfer und bieten Diagnose-Möglichkeiten an. Außerdem werden spezielle Gesundheitstage durchgeführt, an denen Krankheiten gezielt behandelt werden können.

Bio-Baumwoll-Entkernungsfabrik

Der letzte Programmpunkt auf unserer Reise auf dem Weg zum Flughafen ist die Entkernungsfabrik. Hier kommt die Baumwolle aus den umliegenden Anbaugebieten an und wird nach Sorte getrennt auf riesigen Bergen angehäuft, gehackt, entkernt und zu Ballen gepresst. Es ist ein wunderbares Erlebnis zwischen diesen weißen Bergen, der Bio-Baumwolle zu stehen.

Nach einer langen Reise mit dem Bus zum Flughafen in Indore, von Indore nach Mumbai und von Mumbai nach Frankfurt, staunen wir nicht schlecht schon um 8 Uhr morgens am Bahnhof in Frankfurt die ersten verkleideten Jecken auf dem Weg zum Kölner Hauptbahnhof zu treffen, denn es der 11.11., der Start der Karnevals-Saison in Köln. Wie vielfältig die Welt doch ist.